Dienstag, 6. November 2012

Firmen als Irrenhaus

Martin Wehrles "Ich arbeite in einem Irrenhaus - Vom ganz normalen Büroalltag" ist ein Buch über Firmen, in denen der Irrsinn regiert. Eine solche Organisation zeichnet sich durch die Merkmale aus:
1.) Heuchelei: Die Firma tut nicht, was sie sagt, und sie sagt nicht, was sie tut. Sie verspricht Mitarbeitern (und Kunden) mehr als sie hält.
2.) Profitsucht
3.) Egozentrik: Die Firma ist vor allem mit sich selbst beschäftigt, nicht mit dem Markt.
4.) Dilettantismus
Um diese Themen geht es dann im ganzen Buch: Um Image-Lügen, wie durch Profitsucht Firmen in den Ruin gewirtschaftet werden, um sinnlose Prozesse und sonstige schlechte Arbeit.Eine wirklich irre Firma wächst in ihre Rolle hinein und der neue Mitarbeiter passt sich schnell und gründlich an. Die Wachstumsstory einer irren Firma verläuft in den folgenden 4 Phasen:
1.) Dorfkultur: Jeder kennt jeden, alles funktioniert informell per Flurfunk und kurzem Dienstweg. Leider hat die neue, finanzschwache Firma erstmal nicht die besten aller Mitarbeiter für sich gewinnen können.
2.) Dschungelkultur: Die Firma wächst, alles wird größer, unübersichtlicher, und eigentlich funktionieren die bisherigen Vorgehen nicht mehr. Der Chef will aber nach wie vor alles wissen, alles bestimmen und alles steuern. In der Belegschaft entsteht eine Zwei-Klassen-Gesellschaft: Auf den Chefsesseln sitzen die Gründungsmitarbeiter, die Neuen arbeiten unter diesen. Eventuell sind die Neueingestellten sogar kompetenter als ihre Vorgesetzten, die ja nicht wegen ihrer Qualifikation, sondern wegen ihrer Treue befördert wurden.
3.) Stadtkultur: Wird das Chaos zu groß, erkennt man, dass Regeln nötig werden. Ab nun wird alles starr geregelt. Die Firma wird anonymer, bremst sich durch ihre neuen Regeln teilweise auch selbst aus.
4.) Wanderkultur: Mit der Etablierung der Firma etabliert sich auch ihr Irrsinn. Mitarbeiter bleiben nur noch kurz.

Durch seine echten, skurrilen und doch so wohlbekannten Beispiele und starken treffsicheren Formulierungen ist das Buch ein Lesegenuss. Hier ein paar Beispiele:
"Die Entscheidungswege vieler Firmen sind so verschlungen, dass der brasilianische Regenwald dagegen übersichtlich wie der Stadtpark wirkt. Der Dienstweg spielt kaum eine Rolle. Zwar gilt er offiziell als Entscheidungshauptstraße, doch im Alltag schleichen sich wichtige Beschlüsse auf den informellen Trampelpfaden an. Diese Wirklichkeit ist im Organigramm nicht enthalten."
§11 Irrenhaus-Ordnung: Ein neuer Mitarbeiter wird auf dem schnellsten Weg zur Vernunft gebracht und von seinen fixen Ideen geheilt. Als Vernunft darf gelten, was
die Firma schon immer tat - als fixe Idee, was der Mitarbeiter einführen will.
§16: Wer vor dem Meeting ein Problem hatte, ist danach einen Schritt weiter - er hat mindestens zwei Probleme!
§17: Mit dem Handeln im Unternehmen ist es wie mit dem Frauenzersägen im Zirkus: Man muss es nicht tatsächlich tun, sondern nur möglichst spektakulär vortäuschen. Das reicht für den Erfolg.

Martin Wehrle rät dringend, in solchen Firmen nicht zu arbeiten. Zur Unterstützung des Lesers gibt er konkrete Hilfen, z.B. einen Irrenhaus-Test, anhand dessen man
feststellen kann, wie irre die eigene Firma ist. Nach einer gewissen Zeit hat man sich ja so angepasst, dass man es ohne objektive Kriterien nicht mal mehr bemerkt. Dann gibt er Tipps für die Flucht und dafür, wie man vor der Einstellung eine irre Firma erkennt. Schon während der Bewerbungsphase und des Gesprächs ergeben sich
viele wichtige Hinweise. Beispielsweise kann man sich ja bereits frühzeitig zu Dienstschluss unter die Menge an der Bushaltestelle mischen und Mäuschen spielen. Worüber sprechen die Mitarbeiter dieser Firma, wie ist deren Stimmung, was stört sie?

Dieses Buch plädiert für gesunden Menschenverstand, für ordentliche Arbeit und versucht eine Widerstandsbewegung gegen den Irrsinn zu etablieren. Denn dieser ganze gefährliche Quatsch wird nur dadurch ermöglicht, dass wir alle mitmachen!

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